Erfolg haben wollen

Vor einigen Jahren wurde mir eine wunderbare Anekdote aus dem Radsport zugetragen, der ja bekanntermaßen vom Scheitel bis zur Sohle durchseucht ist mit Schiebern, Behumpsern und Betupsern. Auf der alljährlichen Mitgliederversammlung eines Radsportvereins wurden u.a. auch die fleißigsten Radamateure geehrt, unter ihnen auch die Teilnehmer an Radtourenfahrten (RTF), bei denen es nicht um Zeiten, sondern ums Dabeisein geht. Es gibt weder bei den Einzelveranstaltungen etwas zu gewinnen noch in der Jahreswertung, deshalb finden diese Jedermannrennen auch auf öffentlichen Straßen ohne Absperrung statt und die Kontrollpunkte, an denen sich jeder Teilnehmer einen Stempel abholen muss, liegen sehr weit auseinander. Bei jener Versammlung nun stellte sich heraus, dass jemand mehr Teilnahmen nachweisen konnte, als es Veranstaltungstage gab. Er hatte sich mit dem Auto von Kontrollpunkt zu Kontrollpunkt transportieren lassen und konnte auf diese Weise an mehreren RTF an einem Tag teilnehmen. Es hat das für nichts als Teilnahmepunkte getan, die ohne jeden Gegenwert sind, und wollte als Vereinsheld gefeiert werden.

AnjaMatkoLettingGo
Anja Matko – ‘Letting Go’

Gestern habe ich beim Betrachten eines Fotoportfolios ein Werk entdeckt, das ich exakt genau so bereits an anderer Stelle von einer anderen Fotografin gesehen zu haben glaubte. Ich konnte mich vor allem deshalb ganz gut erinnern, weil es als Beitrag eines Fotowettbewerbs mit dem zweiten Platz prämiert wurde. Kurz gesucht und schon gefunden hatte ich beide Fotos auf dem Monitor und war wirklich betroffen, weil sich die Fotos so sehr glichen, dass man einer der beiden Fotografinnen kein geistiges Zutun unterstellen musste, sondern den Diebstahl selbigen Eigentums. Die Frage war nur: Welche von beiden hatte die schöpferische Kraft für dieses Bild?

Ich schrieb also beide Fotografinnen an und stellte eine simple Frage, nämlich die nach der Urheberschaft der Bildidee. Die Antworten offenbarten den Sachverhalt weitestgehend, denn während die eine schlicht mit einem Satz ihre Urheberschaft bestätigte, wunderte sich die andere über den Zeitpunkt meines Interesses – die Fotos stammen beide aus dem Frühjahr 2014 – mit einer Gegenfrage.

Um es kurz zu machen, der Wettbewerbsbeitrag war das Plagiat. Meines Erachtens wird der Vorgang dadurch erheblich brisanter, weil die Zahl der Geschädigten steigt. Es wurden also nicht nur die Urheberrechte der ursprünglichen Bildautorin verletzt, sondern natürlich die Wettbewerbsteilnehmer, deren Bilder die nachfolgenden Plätze belegt haben, der Wettbewerbsveranstalter, der Sponsor und – da es sich um ein zweistufiges Votingverfahren gehandelt hat – die Teilnehmer des Publikumsvotings sowie die Fachjury geschädigt und getäuscht.

Plagiat
Der Wettbewerbsbeitrag

‘OMG it’s exactly the same!! What’s wrong with people!?’
Dies ist die Reaktion von Anja Matko, der Fotografin des Originals, als sie sich das Plagiat angeschaut hatte, und ich selbst könnte meiner Entrüstung nicht treffender, sondern nur deutscher Ausdruck verleihen. Die Reaktion der Preisträgerin: ‘Na und?’

Warum tut jemand so etwas? Es gab als Hauptpreis 1000 Euro zu gewinnen, die ein starkes Motiv gewesen sein könnten, aber erklärt das wirklich die Vorgehensweise, einfach auf einer benachbarten Fotoplattform nach einem zum Thema passenden Foto zu suchen und es fast deckungsgleich zu kopieren? Ich glaube nicht, denn wer sich seiner kreativen Kraft sicher ist, käme nicht auf eine solche Idee, und wer das Internet nicht irrtümlicherweise für grenzenlos hält und sich selbst für verschwindend klein und geringfügig, würde es nicht wagen, sie derart unverschämt umzusetzen. Warum aber versucht jemand, dem offenbar das nötiges Vertrauen in die eigene Kreativität fehlt, als kreatives Ausnahmetalent zu erscheinen und wird dadurch zum unbeholfenen Dieb? Ist das möglicherweise die Folge des sozialen Drucks, den die neuen Medien auf einzelne ausüben, weil sie das Gefühl vermitteln, man offenbare sich der ganzen Welt?

Sowohl den Wettbewerbsveranstalter als auch den Sponsor habe ich um eine Stellungnahme gebeten, bislang allerdings ergebnislos. Über den Fortgang werde ich euch natürlich informieren. Wie ist eure Haltung zu diesem Vorgang, welche Meinung vertretet ihr, habt ihr vergleichbare Fälle erlebt oder Kenntnis von ihnen? Bitte schreibt euer Feedback in die Kommentare, die ich für diesen Artikel ausnahmsweise öffne.

Links:
Der Fotowettbewerb, die Wettbewerbsergebnisse, das Original von Anja Matko, ihr Portfolio.



3 Kommentare

  1. Jutta wrote:

    Ein Skandal! Der Gewinn muss aberkannt werden!
    Hätte innocent einen sauberen Charakter, dann würde sie
    nun, nachdem sie aufgeflogen ist, selbst entsprechend tätig werden
    und zumindest den Preis zurück geben.

  2. Markus wrote:

    Na super, ich bin der Gelackmeierte – mein Bild landete in dem Wettbewerb auf Rang 10 und wenn ich es im Ergebnis richtig sehe, dann wurde bis Platz 9 prämiert, zumindest ist Platz 9 noch mit einer 9 in einem Sternchen versehen und mein Platz 10 nicht mehr. Da steht gar keine Platzierung mehr.
    Ich werde die fc-Verantwortlichen mal anmailen – aber ich befürchte die werden gar nichts machen – Du schreibst ja oben schon, dass Du keine Reaktion erhalten hast – und wenn sie sich melden werden sie wohl auf Tatsachenentscheid etc. berufen (ich weiß auch nicht, was das Reglement dazu sagt) – – so ist die Welt – die einen dopen, andere kürzen direkt ab, wieder andere kaufen Spiele und in der Photografie klaut man Ideen oder kopiert direkt das Bild.
    Darf ich Deine Recherche verwenden, wenn ich mich an die fc wende ??

    Gruß

    Markus

    fc-alias: der Sportfotograf

  3. Innocent wrote:

    Das Floß der Medusa und das letzte Abendmahl wären somit auch Plagiate……
    aber wem kümmerts…. die künstler sind ja schon lange tot