Sprache, Stil und Wirklichkeit

In Bezug auf Bilder scheinen überraschend viele Fotografen auf der Suche nach einer eigenen Sprache zu sein. Wäre das wirklich so, ähnelten sie in diesem Bemühen dem Mann, der – in der irrtümlichen Annahme, es wären Kinder – Hydranten über ‘den Kopf’ streichelt.

Tatsächlich bemühen wir uns zum Beispiel im Bereich der gesprochenen bzw. geschriebenen Sprachen um Verständigung, betrachten sie als Kommunikationsmittel. Wir wünschen uns also kein eigenes, sondern im Gegenteil ein gemeinsames Zeichensystem. Warum also sollte jemand auf der Suche nach einer eigenen Bildsprache sein?

Vermutlich geht es den meisten auch nicht um einen Bildstil, sondern – so meine Befürchtung – eher um Unverwechsel- und Wiedererkennbarkeit. Das jedenfalls ist mein Eindruck, wenn ich beobachte, dass Inhalte verschiedenster Art mit stets denselben Gestaltungsmitteln ins Bild gesetzt werden. Dass also z.B. ein Industrieroboter, eine Landschaft, eine 20jährige Nackte und ein Pflanzenstillleben im Querformat mit offener Blende, Verlaufs- und Weichzeichnungsfilter bei hochfrontalem Licht digital fotografiert und anschließend die Ergebnisse in den Gelb- und Rottönen entsättigt werden. Das klingt nicht nur albern, sondern ist es auch, wird aber dennoch nicht selten so ähnlich praktiziert. Die Ergebnisse sind in ihrer Gesamtheit so unverwechselbar wie Leute, die übelriechend, schlecht frisiert und mit Speiseresten befleckt in Erscheinung treten – außergewöhnlich, aber nicht einmalig, dafür aber stets unerwünscht. Um beim Thema zu bleiben: Es wird allenfalls trunken gelallt und nicht gesprochen.

Mich beschleicht der Verdacht, bis hierher etwas polemisch zu klingen, und ich gelobe Besserung. Ich schreibe diese Zeilen nämlich nicht, um mich lustig zu machen, sondern, weil ich mich leidenschaftlich für die Bildnerei im Allgemeinen und die Fotografie im Besonderen begeistere und mich für ihre Entwicklung engagiere. Es geht mir – die Überschrift deutet es an – um den Zusammenhang zwischen Bildern und Wirklichkeit, zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Autor und Motiv. Um Klarheit und Präzision im Denken, im Schaffen. Um Zeichen und Bedeutung. Um Wirkkraft, Mut, Authentizität.

Die bildsprachlichen Gestaltungsmittel, z.B. Form(at), Fläche und Linie, Farbigkeit, Kontrast usw., sind vielfältig, das Vokabular unerschöpflich, das Regelwerk komplex, aber nicht undurchschaubar. In aller Regel gehen vom Sujet eines Bildes im Zusammenspiel mit dem Verwendungszweck auch Erfordernisse aus. Wir können deshalb nicht mit einer stets gleichen Manier oder Masche jedem beliebigen Bildgegenstand gerecht werden. Wir sollten uns Fragen stellen: Wer, wie, wo, was, warum soll abgebildet werden? Wir sollten die Ergebnisse sorgfältig daraufhin kontrollieren, ob sie frei von technischen und gestalterischen Fehlern den Erfordernissen genügen. Wir sollten den Mut und die Souveränität besitzen, unzureichende Ergebnisse zu vernichten, bevor sie jemand zu Gesicht bekommt. Wenn wir regelmäßig und dauerhaft auf die so angedeutete Weise vorgehen, wird schnell und verläßlich etwas entstehen, was die Arbeit sehr erleichtert: Klarheit, Präzision, ein Gespür für Qualität und zuletzt intuitive Sicherheit. Klingt das nicht begeisternd, animierend, wünschenswert?

Es werden sich aber auch Vorlieben herauskristallisieren, und ich kenne nur sehr wenige ernstzunehmende Fotografen, die sich allem widmen. Vielmehr erfolgt fast immer irgendwann schon aus ökonomischen Gründen eine Spezialisierung, eine Selbstbeschränkung auf wenige Themen. Vielleicht bildet sich dann ein eigener Stil, der sich aber hoffentlich immer aus dem Bildgegenstand entwickelt und eben nicht aus dem krankhaften und/oder verzweifelten Bemühen um Einmalig-, Unverwechsel-, um Wiedererkennbarkeit.

Solltest Ihr an diesem Punkt jemals ankommen und schon angekommen sein, bleibt weiter bemüht, stellt euch weiter jede Menge Fragen. Wäre es nicht toll, sich über die grundlegende Erkenntnis freuen zu können, warum ihr Autos, künstlerischen Akt, Landschaft oder Reportagefotografie zu eurem Betätigungsfeld auserkoren habt? Warum ihr in die Schwärze des Nachthimmels fotografiert, bevorzugt im Winter an hochgelegenen, meist schwer zugänglichen und unwirtlichen Orten? Was ist so spannend am Mond, der Milchstraße, den Planeten? An Haut, Gesichtern, Augen? An Glanz und Gloria? An der Abstraktion?

Warum Bilder schaffen und nicht am Strand liegen, sich sonnen, ein Buch lesen? Ficken, fressen, saufen, spielen?

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Hier steht mein Hut. Falls Du etwas hineinwerfen möchtest, freue ich mich sehr und bedanke mich recht herzlich! Falls nicht, hoffe ich trotzdem, dass diese Zeilen für dich in irgendeiner Weise nützlich sind oder zumindest die Lektüre eine Freude.

PS: ‘Sinn machen’ gibt es im Duden (noch) nicht. Warum bloß? Genauso übrigens wie die stark einsturzgefährdete Sprachkonstruktion, [Hauptsatz], weil [Hauptsatz], also z.B. “Das funktioniert nicht, weil das ist kaputt.” Ach ja, die Sprache. Wer es noch nicht gehört hat: Kanak Sprak. Herr Zaimoglu braucht auch Geld. Obwohl es ihm hoffentlich deutlich besser geht als mir … Finanziell betrachtet. ;-)